130 Jahre Schmiedebetrieb Gradinger
Metallkunst mit Seele
Schmiedebetrieb Gradinger besteht 130 Jahre/ Objekten eine Handschrift geben
Die Leidenschaft dafür, seinen Job neu zu interpretieren, sich an neue Techniken und Formen heranzuwagen, die scheint bei den Gradingers in der Familie zu liegen. „Ich wollte von Anfang an etwas Besonderes machen, mich von dem Üblichen abheben“ – ein Satz, der sowohl vom Senior wie auch vom Junior stammen könnte.
Der Senior, Hermann Gradinger, hat seine Werkstatt für Metallgestaltung mit Kunstschmiede in der Gonsenheimer Grabenstraße inzwischen in die Hände seines Sohnes Michael übergeben – was nicht heißt, dass der inzwischen 80-Jährige die Finger vom heißen Eisen lässt. Die Kreativität, das Realisieren der eigenen Ideen, das liegt beiden Gradingers im Blut.
Dabei ist Hermann Gradinger damals in den Betrieb seines Vaters eingestiegen, als Schlosser unter anderem noch dafür zuständig waren, auch Versorgungsleitungen zu installieren; ansonsten wurden Schlösser und andere Beschläge gefertigt.
In einem Betrieb, der heute 130 Jahre alt ist und von seinem Großvater Nikolaus Gradinger 1886 gegründet wurde, schickte sich Hermann Gradinger in den 1960ern an, gestalterisch tätig zu sein, sich nicht auf das bloße Pflichtprogramm beschränken.
Er besuchte die Meisterschule in Stuttgart, ließ sich von seinem Zeichenlehrer, einem Architekten, inspirieren, wagte sich dann immer mehr an die künstlerische Sparte. Wer sich heute in der Stadt und der Umgebung umschaut, wird immer wieder auf Werke des Gonsenheimers stoßen: Der Windfang in der Augustinerkirche stammt von ihm, die Friedhofstore in Weisenau und Ebersheim, zahlreiche Verkleidungen von Orgeln, Eingangstore und außergewöhnliche Zäune hat er gebaut. Und so einiges ist inzwischen – sehr zu seinem Bedauern – auch Neubauten und Sanierungen zum Opfer gefallen; so unter anderem die Eingangstür der alten Landeszentralbank in der Kaiserstraße, die er 1971 gefertigt hatte, oder die Treppengeländer des Hambacher Schlosses.
Man soll anhand der
Formensprache
erkennen, dass das
Produkt von mir ist.
– Michael Gradinger, Firmenchef
Hermann Gradinger war eine Kapazität in Sachen Metallbau, er hatte Mitarbeiter aus aller Welt, die ihn wiederum in alle Welt einluden, wo er über seine Arbeit referierte. In England, den USA und vielen anderen Ländern berichtete er Kollegen und Nachwuchskräften von seinem Schaffen und seinen Ideen. Zahlreiche Gestaltungspreise hat er gewonnen, hatte sogar einen Lehrauftrag an der Hochschule für Metallgestaltung in Hildesheim. Sein Credo: „Bei allem, was wir tun, geht es darum, dem Objekt eine Seele zu geben, eine unverwechselbare Handschrift, die aussagt, wer es gemacht hat.“
Und genau diese, seine eigene Handschrift, bringt auch Sohn Michael mit in den Betrieb. Er entschied sich erst relativ spät, im Jahr 2004, doch in den väterlichen Betrieb einzusteigen – und das, obwohl er längst eine Schlosser- und eine Designausbildung absolviert hatte und seinen eigenen Weg mit eigenen Unternehmen eingeschlagen hatte. Als der Vater dann allerdings signalisierte, allmählich kürzer treten zu wollen, packte ihn die Verbundenheit zum Familienbetrieb. Michael Gradinger steht dem Vater in nichts nach, hat den Betrieb in eine neue Ära geführt, ohne die Leidenschaft fürs Handwerk aus den Augen zu verlieren. Mit seinen speziellen Zaunsystemen, die mit Laser- oder Wasserstrahltechnik hergestellt werden, hat er bereits verschiedene Designpreise abgeräumt.
„Ich liebe diesen Beruf“, sagt Michael Gradinger. „Die Leute kontaktie ren mich, ich schaue mir ihr Haus oder ihren Garten an, mache Fotos und skizziere dann einen Entwurf“, erklärt er. Und dieser Entwurf dürfe gerne alles andere als Mainstream sein. „Man soll anhand der Formensprache erkennen, dass das Produkt von mir ist.“
Dabei geht es nicht nur um Zäune oder Tore – auch sakrale Elemente, Kerzenleuchter oder Schriftzüge für Unternehmen fertigt er an. Und gerade hat er einen topmodernen Grill für einen Mainzer Gastronomen entworfen. Auch in luftiger Höhe, auf dem Mainzer Wahrzeichen war Michael Gradinger schon aktiv: Als 2013 die Domspitze saniert wurde, war er es, der den Domsgickel wieder fit für seinen Job, hoch oben über der Gutenbergstadt, machte.
Von Maike Hessedenz, Quelle: AZ 20.09.2016 (www.allgemeine-zeitung.de)
Foto: hbz/Harry Braun